Farbe ist Programm - Teil 1

Eröffnung des Farbfernsehens auf der Funkausstellung 1967 in Berlin 25.08.1967 © picture-alliance/ dpa / Willi Gutberlet

 

Liste der ausgestellten Künstler*innen:

Etel Adnan / Josef Albers / Rozbeh Asmani / Anna Atkins / Gilbert Baker /Rosa Barba / KP Brehmer / Angela Bulloch / Sophie Calle / Judy Chicago /Geneviève Claisse / Angela de la Cruz / William K. L. Dickson & William Heise /Sanna Dullaway / Gardar Eide Einarsson / Oskar Fischinger / Carsten Fock /Claire Fontaine / Helen Frankenthaler / Sam Gilliam / Dominique Gonzalez-Foerster / Renée Green / Kapwani Kiwanga / Leo Lionni / Antje Majewski /James Clerk Maxwell & Thomas Sutton / Sarah Morris / Hans Op de Beeck /Blinky Palermo / Jorge Pardo / Adam Pendleton / Amalia Pica / Gerhard Richter /Willem de Rooij / Pamela Rosenkranz / Hans-Albrecht Schilling / Rudolf Steiner/Hito Steyerl / Sophie Taeuber-Arp / Thu-Van Tran / Franz Erhard Walther /Lawrence Weiner / La Monte Young, Marian Zazeela, Jung Hee Choi

 

Mit Beginn des Zeitalters der technischen Reproduzierbarkeit vor über einem Jahrhundert steigerte sich die Präsenz von Farbe stetig und exponentiell: Eine regelrechte Invasion von Farbe und ihren zugrunde liegenden sowie sich rasant ändernden medialen Möglichkeiten fand – und findet noch immer – statt. Emblematisch für diesen Prozess kann in der jüngeren Geschichte der Startschuss stehen, mit dem der damalige Vizekanzler Willy Brandt am 25. August 1967 in Westdeutschland die Ära des Farbfernsehens einläutete und damit das TV-Programm wortwörtlich farbiger machte.

Mit Farbe als künstlerischem Medium und ihrer programmatischen, politischen Dimension beschäftigt sich die Ausstellung Farbe ist Programm anhand von kunst- und kulturgeschichtlichen Exponaten aus weit mehr als 100 Jahren. Thema ist dabei weniger der kunsthistorische Kontext von Farbe oder eine medientechnologische Erkundung des Sujets. Vielmehr geht es um die künstlerische Auseinandersetzung mit der Wirkkraft von Farbe. Diese durchdringt alle Disziplinen, nicht nur ästhetisch und wahrnehmungspsychologisch, sondern auch politisch und ökonomisch.

Der Künstler und Co-Kurator Liam Gillick sagt dazu: „Farbe ist in dieser Ausstellung immer auch ein Träger von Ideen. Farbe ist und ist nicht das, was sie zu sein scheint. Farbe ist ein Mittel, um Widersprüche und Subjektivität auszudrücken". (’Color in this exhibition is always a carrier of ideas. Color is and is not what it appears to be. Color is a vehicle to express contradiction and subjectivity.‘) Historisch setzt die Ausstellung mit den frühesten Farbfotografien und Farbfilmen an. Zu sehen ist das berühmte Experiment des Physikers James Clerk Maxwell, der anlässlich eines Vortrags über seine Forschungen zur Farbwahrnehmung und Farbenblindheit 1861 das Prinzip der additiven Farbmischung erstmals in Form einer Projektion durch rotes, blaues und grünes Licht bewies. Ein weiterer solcher neuralgischen Moment wird mit dem allerersten handkolorierten Film Annabelle Serpentine Dance aus dem Jahr 1895 veranschaulicht. Er stellt die betörende Choreografie der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller und ihre innovative Inszenierung durch farbige Lichtprojektionen auf der Leinwand nach. Außerdem sind Reproduktionen der botanischen Bilder von Anna Atkins zu sehen, die als die ersten fotografischen Bilder gelten, die – 1843 – in einem Buch veröffentlicht wurden. Die Künstler*innen der klassischen Moderne setzten die Farbe als autonomes Gestaltungsmittel ein. In dieser Zeit sind von Avantgardist*innen wie Theo van Doesburg (1883–1931) und Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) bahnbrechende Farbräume umgesetzt worden. Ihre abstrakte Formensprache und kompositorischen Farbvariationen kamen bei der Neugestaltung des Straßburger Vergnügungszentrums Aubette (ab 1926) zur Geltung. Taeuber-Arps Foyer-Bar wird in der Ausstellung in einer Teilrekonstruktion revitalisiert und Doesburgs Ciné Dance fungierte als Inspiration für die Ausstellungsarchitektur von Liam Gillick. Insbesondere in der Malerei hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Autarkie der Farbe vollzogen, deren suggestive Wirkung sich in vielen ausdrucksvollen Werken zeigt. Als historischer Meilenstein ist hier der Bauhaus-Künstler Josef Albers (1888–1976) gesetzt. Seine legendäre Interaction of Color von 1963 führt seine wahrnehmungspsychologische Untersuchung zur relativen Wirkung von Farbe vor und ist wichtig auch in seiner spirituellgeistigen Dimension – wie sie auch im Werk des Begründers der Anthroposophie, Rudolf Steiner (1861–1925), deutlich wird. Von ihm sind zwei große, mit Kreide bemalte Tafeln zu sehen, die seine berühmten und nicht minder berüchtigten Vorträge aus dem Jahr 1921 visualisieren. Helen Frankenthaler (1928–2011) steht als Farbmagierin für eine ganze Generation, deren expressive Farbabstraktionen in Amerika der nüchter-nen Farbfeldmalerei gegenüberstand. Auch das Werk von Sam Gilliam (*1933) reiht sich in diese Tradition ein. Seine sinnlich-textile Arbeit offeriert ein ganzes Kaleidoskop an Pigmenten.

Die Werke der kürzlich verstorbenen Etel Adnan (1925–2021) spiegeln ihren Glauben an die Humanität und die Schönheit der natürlichen Welt und erzählen von der „Unschuld der Farbe". Eine jüngere Gene-ration ist mit Sarah Morris (*1967), Angela de la Cruz (*1965) und Amalia Pica (*1978) vertreten. Diese Künstlerinnen setzen eine wissende Abstraktion ein, die sich aus der Vergangenheit speist und uns auffordert, Fragen zur Abstraktion als relevante zeitgenössische subjektive Sprache zu stellen, die immer noch Grenzen überschreiten kann. Kapwani Kiwangas (*1978) Linear Paintings zweifeln die ästhetischen Entscheidungen von Behörden an und schaffen Farbfeldabstrak-tionen, die auf Beschlüssen, die in staatlichen Gebäuden gefällt wurden, beruhen. Farbwolken in Wüstensettings erlebt das Publikum bei der Feministin Judy Chicago (*1939). Ein immersives Gesamterlebnis – wie einen psychedelischen Trip – inszeniert zudem das Team um La Monte Young (*1935) mit dem Dream House. Dominique Gonzalez-Foersters (*1965) Endodrome und Angela Bullochs (*1966) Chain A 2:1:12:3 treiben die Idee einer codierten oder immersiven digitalen Erfahrung in Richtung Gegenwart und darüber hinaus. Weitere jüngere Künstler*innen spielen subtil oder explizit auf die Errungen-schaften ihrer Vorgänger*innen an. Eine kompositorische Installation von Antje Majewski (*1968) bezieht sich u. a. auf Otto Runges Farbkugel und zeigt in Tanz RGBCMYK (2009) Farbe als performativen Ausdruck. Im Werk des Malers Carsten Fock (*1968) wird Farbe zum meditativen Raumerlebnis. Rosa Barba (*1972) inszeniert in ihrer Installation Himmelskörper durch farbige Filter eine sphärische Illusion. Die immer frische und duftende Blumenpracht von Willem de Rooij (*1969) erzählt als weißes Bouquet in dunklem Ambiente von einer stillen, aber lebendigen Schönheit der Natur und von Individualität in der Gleichheit. Jorge Pardos (*1963) drei Werke besitzen alle einen Bezug zu Gebrauchswert und Funktion. Sein nachgebauter Corbusier-Sessel, der niedrige Couchtisch und der Sockel für Liam Gillick verweisen auf das Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Design – Funktion und Disfunktion. Die Ausstellung präsentiert darüber hinaus künstlerisches Schaffen, das Farbe verwendet, um Machtverhältnisse und Wirtschaftsinteressen hervorzuheben, zu hinterfragen und aufzudecken. Man denke hier an die Farbgebung und Deutungsmöglichkeiten von Farbeinsatz in politischen Spektren. Der Künstler KP Brehmer (1938–1997), scharfer Analytiker der Medienwelt, hat in einem großen Werkkonvolut der 1970-er Jahren die Visualisierung faschistischer Tendenzen nach 1945 untersucht. Die Künstlerin Thu-Van Tran (*1979) nutzt die farbigen Kodierungen der vom US-Militär im Vietnamkrieg eingesetzten Rainbow Herbicides. Durch die Überlagerung von „Agent“ Weiß, Pink, Blau, Grün, Lila und Orange, die symbolisch auf die Verseuchung des Landes verweisen, löschen sich die Farben in einer Grautonmischung gegenseitig aus. In seiner wöchentlich wechselnden Plakatserie erforscht Rozbeh Asmani (*1983) die ökonomischen Farbsysteme und die Pfründe der Farbe(be)setzungen aus der „schönen“ Markenwelt mitsamt den ökonomischen Konnotationen diverser bekannter Farb-töne und -kombinationen – von Nivea bis IKEA. Gardar Eide Einarsson (*1976) beschäftigt sich mit Macht und staatlicher Einflussnahme im öffentlichen Raum anhand von LED-Leuchten zur (Stimmungs-)Aufhellung. Hito Steyerls (*1966) Arbeit Red Alert verschmilzt das Erbe Alexander Rodtschenkos mit der brutalen Sprache eines drohenden Angriffs im technologischen Zeitalter.

Gezeigt wird ebenso, wie Farbe von Künstler*innen genutzt wird, um Sprache und Poesie zu verstärken oder ihre Abwesenheit zu unterstreichen. In den ver-gangenen Jahrzehnten globaler Migration und deren politischen Herausforde-rungen haben Künstler*innen Farbe eingesetzt, um Identität und Differenz dar-zustellen. In PET-Flaschen offeriert Pamela Rosenkranz (*1979) Hauttöne als Repräsentation der Diversität. Der US-amerikanische Künstler Adam Pendleton (*1984) extrahiert in seiner Arbeit Notes on Black Dada Nihilismus (Proper Nouns) nur die Namen aus Amiri Barakas radikalem Black Poem. Dem steht im Foyer Renée Greens (*1959) Space Poem #7 (Color Without Objects: Intra-Active May-Words) gegenüber, 28 doppelseitige Banner, inspiriert von May Swensons Gedicht Colors Without Objects (1965). Für ihre lyrische Fotoarbeit interviewte Sophie Calle (*1953) blinde Menschen zu ihren Vorstellungen von Farbe. Der Entzug von Farbe durchzieht das Gesamteœuvre von Hans Op de Beeck (*1969), in dem er in monochromen, morbiden Stillleben den Vanitas-Aspekt herausstellt. Die grauen Bilder von Gerhard Richter (*1932) entlarven die Schaffenskrise des Künstlers. In der Nähe weist eine zweiteilige Arbeit in Farbe und Spiegel von Blinky Palermo (1943–1977) einen Weg über das Endspiel der Abstraktion hinaus, indem diese diskret den Kontext des Ausstellungsraums akzep-tiert. Im Foyer der Bundeskunsthalle ist eine der enigmatischen Arbeiten von Lawrence Weiner (1942–2021) installiert, die in klaren Worten die Ausstellung jenseits der Galerietüren beschreibt. Mit seinen Farbstudien für Wohnblocks der Nachkriegszeit bringt uns Hans-Albrecht Schilling (1929–2021) zurück in den urbanen Kontext. Franz Erhard Walther (*1939) hingegen reduziert mit Gelb und Blau die Grundlagen der Farbe als mögliche Malerei, indem er zwei Pigmenttöpfe zur Schau stellt und damit gleichzeitig die Malerei abschafft. Die Ausstellung streift beispielhaft kulturgeschichtliche Meilensteine wie die bereits erwähnte erste TV-Übertragung in Farbe in der BRD. Mit der Repräsentation unserer globalen Gesellschaft in all ihrer Diversität über das Farbspektrum wird mit der Regenbogenflagge ein weiterer gesellschaftlicher Ankerpunkt gesetzt. Ein Text über Gilbert Bakers (1951–2017) Original-Entwurf  macht dies im Begleitbuch deutlich. Der freie, nicht geleitete Parcours durch die Ausstellung wie auch die assoziative Herangehensweise sind bewusster Teil der Inszenierung. Einzelne Positionen pflegen einen ganz spezifischen, hintergründigen Umgang mit Farbe. Allesamt unterstreichen sie die Vielfalt in der Ausstellung, die durch eine raumgreifende, eigens für die Große Halle von Liam Gillick gestaltete Architektur erlebt werden kann. Erstmals in der Geschichte der Bundeskunsthalle wurde mit Farbe ist Programm eine Ausstellung vom gesamten Team der Kuratorinnen entwickelt und spiegelt – dem so „bunten“ wie umfassenden Sujet Farbe angemessen – deren spezifische Forschungsschwerpunkte wider; sie ergeben ein kaleidoskopisches, nach Teil Eins jederzeit erweiterbares Essay zum Gegenstand der Farbe weit über die letz-ten 100 Jahre hinaus.

 

Kuratorinnen:

Eva Kraus / Johanna Adam / Susanne Annen / Miriam Barhoum / Katharina Chrubasik / Susanne Kleine / Agnieszka Lulinska / Henriette Pleiger

 

Co-Kurator und Ausstellungsgestaltung:

Liam Gillick

In der von Programmkurator Kolja Reichert konzipierten und von Liam Gillick gestalteten begleitenden Publikation öffnen Beiträge aus verschiedensten Diszip-linen, von der Hirnforschung bis zur Schönheitschirurgie, den Diskurs über Farbe in den sozialen Raum.

 

Pressesprecher
Sven Bergmann
T +49 228 9171–205
F +49 228 9171–211
bergmann@bundeskunsthalle.de


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